Ist Reverse Graffiti (Clean Art) strafbar?

Reverse Graffiti bzw. Clean Art ist aktuell ein großes Thema in der Kunst. Dieser Beitrag vermittelt eine gute Übersicht über die Thematik und widmet sich insbesondere der Frage der Strafbarkeit von Reverse Graffiti.  

3 Dezember 2021

Ist Reverse Graffiti (Clean Art) strafbar in deutschland, 22,

Was ist Reverse Graffiti?

San Francisco: Fast schon ironisch übersäten Abbildungen von Pflanzen, die vor Jahrhunderten vielleicht an genau dieser Stelle gestanden hätten, die schmutzigen Betonwände des Downtown Broadway Tunnels.     

„Reverse Graffiti“, „Clean Art“ oder auch „Grime Writing“ nennt man die Technik, welcher sich der britische Künstler Paul Curtis, dessen Künstlername „Moose“ lautet, für dieses Werk bediente.

Um ein Bild zu schaffen verwenden die „Reverse Graffiti“ Künstler keinerlei Farben. Stattdessen säubern sie schmutzige Oberflächen wie Straßen, Unterführungen oder Hauswände. Mit Lappen, Bürste, Wasser und Reinigungsmittel werden die verdreckten Flächen derart gereinigt, dass der Kontrast zwischen den sauberen und schmutzigen Bereichen ein Bild ergibt.

Mit Hilfe dieses Kontrastes wollen viele Künstler, die sich dieser Technik bedienen (so auch der eingangs erwähnte „Moose“), auf das Problem der Umweltverschmutzung aufmerksam machen. Der Betrachter soll auf ironische und drastische Weise auf das aufmerksam gemacht werden, was im alltäglichen Leben kaum noch wahrgenommen würde: Wie verdreckt die Welt sei und wie einfach man etwas dagegen tun könne.

Rechtliche Grundlagen: Ist Reverse Graffiti strafbar in Deutschland?

Auch in Deutschland ist dieser Trend seit einigen Jahren angekommen. Einige Kommunen gehen mit solchen Werken um, als würde es sich um herkömmliches Graffiti handeln. Jeder Fall wird also zur Anzeige gebracht. Grund dafür sei, dass die Teilsäuberung das Erscheinungsbild der Stadt ungefragt verändere und außerdem Kosten zur Säuberung der ganzen Wand erstünden, um das Reverse Graffiti zu entfernen.   

In dieser Hinsicht macht es für eine Kommune oder eine Privatperson also keinen Unterschied, ob es sich um ein Reverse- oder ein herkömmliches Graffiti handelt.

Vor dem Hintergrund, dass bei einem Reverse Graffiti jedoch „nur“ Dreck von einer Sache abgetragen wird, der nicht etwa beabsichtigter Teil dieser Sache ist, sondern sich über die Jahre ungewollt angesammelt hat, stellt sich die Frage, ob der Urheber eines solchen Graffitis ebenso wegen Sachbeschädigung gem.§ 303 StGB strafbar ist, wie der Urheber eines herkömmlichen Graffitis.   

Strafbar wegen Sachbeschädigung ist, wer:

- rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört (§ 303 I StGB), oder

- unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert (§ 303 II StGB).

Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach beiden Varianten ist also zunächst, dass es sich bei dem Objekt, auf dem das Reverse Graffiti entsteht, um eine fremde Sache (das heißt eine Sache, die nicht im alleinigen Eigentum des Graffiti Künstlers steht) handelt.         

Strafbarkeit gem. § 303 I StGB  

Das Beschädigen oder Zerstören einer Sache, was eine Strafbarkeit gem. § 303 I StGB begründen würde, setzt eine Substanzverletzung voraus. Das bedeutet, dass der Künstler durch die Schaffung des Reverse Graffitis die Substanz seiner „Leinwand“ verletzen müsste, um nach dieser Variante strafbar zu sein.        

Da Reverse-Graffiti Künstler sich meistens sehr robuste Objekte, wie Betonwände oder Straßen, als Basis für ihr Werk aussuchen, dürfte es recht selten vorkommen, dass die Verwendung eines Hochdruckreinigers oder anderer Säuberungsmittel, die für die partikuläre Säuberung verwendet werden, dazu führt, dass diese Flächen in ihrer Substanz verletzt werden. Dass der Urheber eines Reverse-Graffitis sich gem. § 303 I StGB strafbar macht, ist also sehr unwahrscheinlich.

Strafbarkeit gem. § 303 II StGB  

Da beim herkömmlichen Graffiti schwer festzustellen ist, ob dieses die Sachsubstanz verletzt, wie bei § 303 I StGB vorausgesetzt, der Gesetzgeber Graffiti aber als Sachbeschädigung bestrafen wollte, hat er § 303 II StGB nachträglich hinzugefügt. Hier wird keine Substanzverletzung, sondern lediglich eine nicht nur unerhebliche und vorübergehende Veränderung des Erscheinungsbildes einer fremden Sache vorausgesetzt.

Die wichtigsten Punkte zusammengefasst:

  1. Verändern des Erscheinungsbildes 

Ein Reverse Graffiti müsste also zuerst das Erscheinungsbild einer Sache verändern, um gem. § 303 II StGB strafbar zu sein.

Dies ist der Fall, wenn die visuell wahrnehmbare Oberfläche einer Sache in einen anderen als den ursprünglichen Zustand versetzt wird. Durch die partikuläre Säuberung der zuvor regelmäßig verdreckten Fläche, verändert sich das Erscheinungsbild dieser.

Da es sich um ein neutral zu betrachtendes Tatbestandsmerkmal handelt, ist es hierbei irrelevant, dass die Veränderung auch als „positiv“ angesehen werden könnte, weil die fremde Sache ja eigentlich nur von unerwünschtem Dreck befreit würde.

  1. Nicht nur unerheblich

Um den Tatbestand des § 303 II StGB zu erfüllen, darf diese Veränderung des Erscheinungsbildes weiterhin nicht nur unerheblich sein.

In der Gesetzesbegründung heißt es, dass solche Veränderungen nicht nur unerheblich (und somit erheblich) sind, bei denen unmittelbar auf die Substanz der Sache eingewirkt wird, wie es namentlich bei herkömmlichem Graffiti der Fall sei. Wichtiger Hinweis: Nur, weil beim Reverse Graffiti keine SubstanzVERLETZUNG  festgestellt wird, heißt das nicht automatisch, dass keine SubstanzEINWIRKUNG vorliegt. Dies gilt es zu beachten.

Es stellt sich also die Frage, ob bei der Herstellung eines Reverse Graffitis unmittelbar auf die Substanz der fremden Fläche (z.B. der Betonwand oder des Bordsteins) eingewirkt wird. Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten:

Ist Reverse Graffiti eine Substanzeinwirkung?

Denn der Dreck, der von der fremden Sache abgetragen wird, um das Erscheinungsbild dieser zu verändern, war nicht etwa von Anfang an Teil dieser Sache, sondern hat sich über Jahre hinweg angesammelt.

Entfernt man z.B. unbefugt ein Spruchband, das deutlich sichtbar an der Außenfassade einer Hauswand angebracht wurde, besteht keine SubstanzEINWIRKUNG auf die Fassade an sich. Geht man davon aus, dass angesammelter Dreck, ebenso wie ein angebrachtes Spruchband, nicht wirklich zur Substanz der veränderten Sache gehört, sondern lediglich wie ein Schleier über dieser Sache liegt, kann vertreten werden, dass das Abtragen von Dreck gerade keine Einwirkung auf die Substanz der fremden Sache bedeutet.

Lassen Sie uns näher auf die Thematik Dreck und Oberfläche eingehen. Es kann diesbezüglich auch vertreten werden, dass sich der Dreck und die Oberfläche der fremden Sache derart verbunden haben, dass der Dreck bereits substanzieller Teil der Sache ist und das Abtragen des Drecks somit eine Substanzeinwirkung darstellt: Denn bei herkömmlichen Graffiti wird angenommen, dass sich die Farbe mit ihrem Untergrund so verbindet, dass hierin eine substanzielle Einwirkung besteht. Warum sollte eine solche Verbindung, wie sie beim Graffiti zwischen Farbe und Wand entsteht, also nicht zwischen hartnäckigem Schmutz und einer Fläche bestehen können? 

Einer der beiden Ansichten ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu folgen wäre ergebnisorientiert. Stattdessen sollte unter Berücksichtigung der konkreten Umstände abgewogen werden, ob man von einer derartigen Verbindung zwischen Dreck und Fläche ausgehen kann, dass das Abtragen des Drecks eine Einwirkung auf die Substanz der Fläche bedeuten würde.                 

Indikatoren dafür können z.B. die Porosität einer Oberfläche oder die Art des Drecks sein. So kann man bei einer glatten Oberfläche, wie z.B. Glas, wohl seltener von einer hartnäckigen Verbindung mit dem Dreck ausgehen, als bei einer porösen Oberfläche, wie z. B. nacktem Beton.                   

Zwischenfazit: „Es kommt darauf an!“ – Ob das Abtragen von Dreck eine Einwirkung auf die Substanz der fremden Sache darstellt, muss unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entschieden werden.              

Welches ist der 3. wichtige Punkt in dem Zusammenhang?
  
3. nicht nur vorübergehend           

Weiterhin darf eine Veränderung nicht nur vorübergehend sein, um den Tatbestand des § 303 II StGB zu erfüllen. Vorübergehend sind laut Gesetzesbegründung solche Veränderungen, die ohne viel Aufwand binnen kurzer Zeit von selbst wieder vergehen oder entfernt werden können (wie z. B. Malereien mit Kreide oder Wasserfarbe).             

Was unter „kurzer Zeit“ zu verstehen ist, hat der Gesetzgeber nicht konkretisiert. Allerdings kann es bis zu mehrere Monate dauern, bis sich neuer Dreck auf den vom Graffiti-Künstler gereinigten Flächen absetzt, sodass das Graffiti nicht mehr zu sehen ist. Eine solche Zeitspanne kann vor dem Hintergrund des geschützten Eigentumsrechts nicht als nur vorübergehend i.S.d. Gesetzesbegründung gewertet werden.                       

Das Tatbestandsmerkmal könnte jedoch trotzdem erfüllt sein, wenn sich das Reverse Graffiti ohne viel Aufwand wieder entfernen ließe. Entfernen kann man ein Reverse Graffiti, indem man den Rest der partikulär gereinigten Fläche reinigt.

Die wichtigsten Kriterien

Zur Bestimmung dieses Kriteriums werden üblicherweise die Größen Kosten und Zeit hinzugezogen. Für § 303 II StGB sind keine Grenzen zum Bagatellbereich festgelegt.                      

Man kann sich jedoch an anderen Delikten orientieren: Bei Diebstahl wird in finanzieller Hinsicht bei einem Schaden bis zu 30-50 € Geringwertigkeit angenommen. Einen Hochdruckreiniger, mit dem man den Rest der veränderten Fläche reinigen kann, kann man bereits für unter 30 € z. B. in Baumärkten ausleihen.

Der finanzielle Aufwand zur Entfernung eines Reverse Graffitis ist regelmäßig, also als so gering zu beziffern, dass die Grenze zum Bagatellbereich nicht überschritten wird.       

Auch der zeitliche Aufwand kann in der Regel als gering angesehen werden. Nach nur wenigen Minuten Bestrahlung, kann eine verdreckte Fläche wieder sauber und das Reverse Graffiti somit verschwunden sein.                   

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